Presse 2019 (dokdoc.eu)

Autofriedhöfe
Rostende Ikonen
Von Christian Vogeler

Der Kölner Fotograf Dieter Klein reiste in 39 Bundesstaaten der USA und in fünf Länder Europas, darunter Frankreich und Deutschland, um verlassene Autowracks zu fotografieren. Seine preisgekrönten Bilder dokumentieren ihren langsamen Verfall vor märchenhafter Kulisse.
Als er das rostige Gefährt 2008 mitten in einem Holunderbusch nahe der französischen Stadt Cognac entdeckte, rührte sich etwas ganz tief in der Künstlerseele von Dieter Klein.Der Citroën 7UB von 1935 mit dem klangvollen Namen „Rosalie“ weckte die Leidenschaft für ein Sujet bei dem Kölner Fotografen, das sich mit „Schönheit des Zerfalls“ ebenso umschreiben lässt wie mit „Verlassene Liebe“. Fünf europäische Länder und 39 Bundesstaaten der USA durchfuhr Dieter Klein seitdem, um seine faszinierenden und zugleich verstörenden Motive zu finden und für immer festzuhalten. Fast 8000 Bilder kamen bis heute zustande, die der Bildautor in drei Fotobänden, Ausstellungen und Vorträgen verarbeitet hat.


Vom glanzvollen Anfang und vom langsamen Sterben
Am 6. Oktober 1932 öffnete der Pariser Autosalon seine Türen im Grand Palais. Dort begrüßten sich der Präsident der Französischen Republik, Albert Lebrun, und der Autobauer André Citroën mit Handschlag. Die beiden ehemaligen Studenten der Ecole Polytechnique schauten sich gemeinsam die brandneuen Autos aus der Fabrik Quai de Javel an, die damals das Neueste repräsentierten, was es auf dem Automobilsektor gab. Der Citroën Rosalie feierte ein glanzvolles Debüt und wurde bis 1938 in unterschiedliche Größenordnungen und Varianten gebaut.
Dass ein Modell dieser Serie 76 Jahre später als „Rostlaube“ im Gebüsch die Neugier eines deutschen Fotografen weckte und damit seinen vermutlich letzten Weg zu einer größeren Öffentlichkeit fand, war sicher nicht im Sinne des Erfinders, denn automobiler Fortschritt findet nun mal in Hochglanzprospekten statt und nicht in der Dokumentation vom langsamen Sterben einstiger Schönheit, geschweige denn im Festhalten eines Umweltfrevels. 
Doch so ist es nun einmal passiert, und weitere rostende Ikonen der Automobilgeschichte, auch aus Frankreich und Deutschland – wie der VW Käfer, der Renault Dauphine, der Citroën DS oder der Porsche 911 –, sollten folgen. Ihnen hat Dieter Klein mit seinem Fotoprojekt eindrucksvolle Denkmäler gesetzt, die, wie Zeugen einer vergangenen Zivilisation und befreit von ihrer einstigen Bestimmung, nun als Gewächshäuser oder Unterschlupf für Kleingetier dienen und manchmal auch Einblicke gewähren in ihr derangiertes automobiles Inneres – eingetaucht ins stimmungsvolle Licht einer kalifornischen Wüstenlandschaft, abgestellt im verschneiten Wald eines deutschen Sammlers oder versteckt in der Sandsteingrotte von Le Riceys, wo sonst im feuchten Dunkel Fledermäuse hausen.


Verschworene Gemeinschaft
Doch wie lassen sich solche Plätze finden, zumal diejenigen, die ihre Fahrzeuge dort abgestellt haben, aber auch die, die von diesen Orten Kenntnis haben, oft genug eine verschworene Gemeinschaft bilden, die aus unterschiedlichen Gründen über den genauen Ort schweigen?
Zunächst führte Klein eine ausführliche Internetrecherche in Europa durch, die ihn, beginnend mit einer Schlagwortsuche, zu Fotocommunitys, Blogs, Verkaufsanzeigen und Oldtimer-Clubs führte. Hier lernte er Sammler, Händler und Autoliebhaber kennen, die ihn mit ersten Hinweisen versorgten. Ihr Interesse, die Orte möglichst geheim zu halten, deckte sich mit dem Wunsch des Fotografen, eine märchenhaft unberührte Atmosphäre in seinen Bildern festzuhalten.
Als besonders hilfreich erwies sich ein junger Informant aus der Schweiz namens P., der schrottreife Oldtimer in ganz Europa aufkaufte mit dem Ziel, dem Thema einmal ein eigenes Museum zu widmen. Er führte Klein zu Michel Martin, einem heute 83-jährigen früheren Altmetallhändler aus Polisot-sur-Seine, der über 500 Fahrzeuge aus den Jahren 1928 bis 1960 zusammengetragen und aus privater Leidenschaft vor der Schrottpresse bewahrt hatte. Bevor er seinen Platz auflöste, nutzte der deutsche Fotograf die Gelegenheit, seine Motivsammlung zu erweitern. Den Abstellort in der Sandsteingrotte entdeckte er ebenfalls über den Schweizer Informanten. Um die Renaults Primaquatre bzw. Monaquatre aus den 30er Jahren, die er dort ablichtete, rankten sich bereits boulevardeske Geschichten wie die, dass hier jemand seine Autos vor den Nazis hatte in Sicherheit bringen wollen. In Wahrheit hatte ein kleines privates Automuseum im Nachbarort diese Fahrzeuge aus Platzgründen hierhin ausgelagert, dabei jedoch offensichtlich übersehen, dass die hohe Luftfeuchtigkeit in der Grotte dem Zustand der Autos alles andere als zuträglich war.


Automobiler Tick
Solche skurrilen Geschichten „hinter den Bildern“ sind heute Bestandteil der Lichtbildvorträge, die Dieter Klein in Museen, Galerien oder bei Oldtimerclubs durchführt. Sie deuten auf einen recht speziellen Menschenschlag, der um es freundlich zu sagen, von einem leichten „automobilen Tick“  besessen ist, der sich in erster Linie in Jagen und Sammeln von Schrottfahrzeugen manifestiert, weniger in deren Erhalten, Restaurieren und Pflegen. Nahtlos hier einreihen kann sich auch der Besitzer eines Automausoleums ausgerechnet im Neandertal. Zu seinem 50. Geburtstag hatte der Düsseldorfer Autohändler sich selbst 50 Oldtimer, Baujahr 1950, geschenkt, die er nun in einem kleinen Wald langsam verrotten lässt, darunter auch einen Citroën 11 CV. 
Dass auch der Fotograf ein Jäger und Sammler ist, erscheint da als ein besonderer Glücksfall. Er jedoch erhält den Moment, und damit auch das Objekt. Und dokumentiert gleichzeitig, wie die Sehnsucht des Menschen nach der Kraft der Natur, die letztendlich über alles siegt, auf die Angst vor dem Untergang der Kulturen trifft.

Ein Ende in unendlicher Weite
Dem Projekt in Europa, das Dieter Klein in seinem Bildband „Forest Punk“ festgehalten hat, folgten mehrere Reisen in die USA für zwei weitere Bildbände. Die Idee für dieses ambitionierte Projekt entstand, nachdem Klein von einer Auktion in Oklahoma erfahren hatte, bei der alle Fahrzeuge eines Schrottplatzes an einem einzigen Tag unter den Hammer kommen sollten. Auf insgesamt vier Fahrten durch 39 Bundesstaaten entstanden weitere unretuschierte, morbid-schöne Schrottautoszenen, die sich nun in der scheinbar unendlichen Weite Nordamerikas abspielen. Dort und in Europa sind derweil viele der wilden Autofriedhöfe aufgelöst worden, sodass Kleins Bilder mit ihrem irritierenden Zauber nun auch zu einem besonderen Stück dokumentierter Zeitgeschichte geworden sind.


Dieter Klein, Forest Punk; dieterklein.com, 2013

„Ein Buch, ach was, pure Emotion nicht nur für Autofans“ schrieb die Frankfurter Allgemeine über Dieter Kleins ersten Bildband, in dem er sein europäisches Fotoprojekt dokumentiert hat. Für Liebhaberinnen und Liebhaber von coffee table books, die sich von Kleins berührenden, verstörenden und manchmal mytischen Aufnahmen verzaubern lassen möchten.
Dieter Klein, The Fabulous Emotion. Grand Tour – Retired Automobiles of North America, Band 1 & 2; dieterklein.com, 2016
Das Projekt „The Fabulous Emotion“ führt an ungewöhnliche Schauplätze und zu verlassenen Traumautos in den USA. Der Fotograf nimmt Betrachterinnen und Betrachter mit auf eine Zeitreise in 300 faszinierenden Bildern.