Die Welt / Welt am Sonntag
28./29. Dezember 2013 von Stefan Anker
Schöner Schrott
Der Kölner Fotograf Dieter Klein hat versunkene Orte entdeckt, an denen Autos verrotten. Die Bilder zeugen von Skandal und der Ästhetik des Vergänglichen.
Es musste erst diesig werden, die Sonne hätte hier nur gestört. Sonne im Wald bedeutet auch Schatten im Wald, Schatten von Bäumen und Sträuchern, Schatten auf den Objekten, den Motiven. Schatten kann man gar nicht gebrauchen. Nicht, wenn es darum geht, Erhabenheit im Verfall zu dokumentieren. Oder auch einen Umweltfrevel. Oder eine Versündigung an der Kultur, das kommt ganz auf den Standpunkt an.
Dieter Klein, 56, sieht sich der Schönheit verpflichtet. Er ist Fotograf, nicht unbedingt spezialisiert auf Autos, aber der Anblick uralter Wracks, die seit Jahrzehnten im Wald stehen, hat ihn berührt. Und er weiß auch, warum. „Die Psychologie nennt das anthropomorphologische Assoziation – wir schreiben Autos menschliche Gestalt zu“. Man möge sie nur direkt von vorn ansehen – „Gesichter“. Und dann beschreibt Klein eines seiner liebsten Motive: Zwölf Autos stehen da, vier Dreierstapel nebeneinander. „Der eine lehnt sich an, aber der andere kann auch nicht mehr.“
Klein sagt, seine Arbeit, die er in dem Bildband „Forest Punk“ zusammengefasst hat, habe den Wandel zum Thema. Das Auto wandle sich schon während seiner Lebenszeit, vom funktionalen Stück Technik zum Statussymbol. Hat es ausgedient, vollziehe sich der Wandel andersherum, „vom Wert in den Unwert“. Normalerweise sieht man dabei aber nicht zu, die Autos kommen auf Schrottplätze, werden ausgeschlachtet, später geschreddert, und das Material, was wiederverwendbar ist, kehrt in den Produktionskreislauf zurück. „Dass Fahrzeuge einfach stehen bleiben, und dann noch mitten in der Natur, das ist ein fremdes Bild. Daraus ergibt sich die Faszination.“
2010 sieht Dieter Klein zum ersten Mal ein Auto, das seit Jahrzehnten mitten im Wald ruht, er entdeckt den verwitterten Citroen‑Transporter zufällig beim Radfahren mit seiner Frau. Und fährt einen Tag später wieder hin, um das Wrack ausgiebig zu fotografieren. Danach sucht er im Internet: Wo gibt es so etwas noch? Wo sind die Orte, von denen alle immer reden? Orte, an denen die Autos zigfach, zu Hunderten gar verrotten – gibt es sie überhaupt?
Es gibt sie. Klein entdeckt die abgelegenen Waldstücke vor allem in Belgien und in Schweden. In Düsseldorf, zumindest geografisch nicht weit weg von seinem Wohnort Köln, lernt er einen Autohändler kennen, ausgerechnet einen Autohändler der in seinem Garten 50 Autos des Jahrgangs 1950 abgestellt hat und sie den Kräften der Natur und der Zeit überlässt. Als Kunstaktion. Der Mann empfängt auch Besucher und stellt die Autos gelegentlich als morbiden Hintergrund für Fotoproduktionen zur Verfügung, gegen Geld natürlich. „Ich habe den Künstlerbonus und bin mit 2o Euro davongekommen“, sagt Klein.
Kunst? Den Fotos kann man diesen Status problemlos zusprechen. Nicht nur, weil sie handwerklich perfekt gelungen sind. Sondern auch, weil sie eine Haltung haben, sogar zwei Haltungen. Erstens: Ästhetik ist ein Wert an sich, sie steht über technischen und politischen Debatten. Zweitens: Die Bilder zeigen die Wahrheit, nämlich das Vergängliche aller menschlichen Entwicklung.
Nicht alle sind bereit, Dieter Kleins Bilder aus der künstlerischen Perspektive zu betrachten. Oldtimerfreunden bleibt beim Anblick der unrettbaren Schätze das Herz stehen, und bei Umweltschützern ist das kaum anders.
Tatsächlich sind Autos im Wald ein Frevel gegen die Natur, das sieht auch der Fotograf im Prinzip so. Doch plädiert Dieter Klein auch für Verjährung. „Ein rostiges, altes Auto gehört nicht in den Wald. Aber die hier, die tun nichts mehr, das sind einfach Biotope.“
Es ist beeindruckend zu erkennen, wie sich die Natur der Karossen bemächtigt hat. Da sieht man Bäume, die durch den Unterboden in den Wagen eingedrungen sind, im Wachsen den Weg zwischen den Lenkradspeichen genommen haben, um dann irgendwie durchs Seitenfenster oder durchs Dach wieder herauszufinden. Autos sind zwischen Bäumen eingeklemmt und werden nie wieder losgelassen; Moose und Flechten bilden pelzige Überzüge für die Karossen und werden sie irgendwann zerfressen haben. Durch den Innenraum eines EMW 340 von 1950 geistern Spinnweben, und man liest den „De luxe“‑Schriftzug auf dem Handschuhfach als stummen Hilfeschrei. Niemanden können diese Bilder kalt lassen.
Inzwischen ist ein erster Waldschrottplatz in Belgien von den Behörden abgeräumt worden, einem weiteren in Frankreich droht das Aus. Im Buch kommt er nicht vor, weil Klein ihn erst später entdeckt hat. „Seit 6o Jahren stehen rund 15o Autos da, und jetzt muss sich der 83jährige Besitzer darum kümmern.“ Das dürfte zur Entsorgung führen, und manche werden das als Vernichtung von Kulturgut verstehen, so wie bei der Räumung des Historischen Autofriedhofs Gürbetal im schweizerischen Kaufdorf. Nach jahrelangem Rechtsstreit mit der Gemeinde musste der Besitzer des Platzes, der Autoverwerter Franz Messerli, seine rund 1ooo Wracks versteigern und entsorgen; auch die Veranstaltung einer Kunstausstellung mit rund 30.000 Besuchern half ihm am Ende nicht mehr, den Platz als Kulturstätte zu erhalten.
In der Regel sind Schrottplatzbesitzer, denen ihr Geschäft über den Kopf wächst, die Quellen für die verwunschenen Autosammlungen im Wald. Zumindest da, wo viele Autos stehen und wo sie auch gestapelt sind. Viele seiner Fotos hat Dieter Klein im schwedischen Bastnäs gemacht, wo seit mehr als 50 Jahren rund 85o Wracks verfallen. Der Platz entstand wie viele andere in den 40er‑ und 50er‑Jahren des vergangenen Jahrhunderts, weil Norwegen damals den Import von Autos verboten hatte, die Einfuhr von Ersatzteilen aber zuließ. So wurden Autos in Schweden zerlegt und in Teilen über die Grenze gebracht. Als das unsinnige Gesetz aufgehoben wurde, war die Geschäftsgrundlage für die Schrottplätze dahin. „Ein Platz blieb erhalten und wird seit den 60er‑Jahren nicht mehr bewirtschaftet“, erzählt Klein. „Jetzt wächst da der Wald durch.“
Über Bastnäs redet Klein offen, weil der Platz schon zu bekannt ist, um ihn noch geheim zu halten. Ansonsten bleibt der Fotograf lieber im Ungefähren, weil er weder die lokalen Behörden darauf aufmerksam machen möchte noch die Sorte Auto‑Fans, die keiner im Wald sehen will. „Da kommen dann die ganzen Idioten, die die Autos besprayen oder sich mit Hämmern an ihnen abarbeiten. Dann dauert das kein Jahr, und ein zeitgeschichtliches Dokument ist zerstört.“
Wie ernst Klein das meint, belegt die Tatsache, dass er für jedes fotografierte Wrack Typ und Baujahr ermittelt hat, als Reverenz an das, was das Auto einmal war. 25oo Motive hat der Fotograf aufgenommen, die besten 105 sind im Buch zu sehen. Fast alle entstanden bei Nieselwetter, als die leichte Nässe den Blättern und dem Blech Glanz verlieh und die Wolken die Sonne daran hinderten, Schatten zu erzeugen. Man hat ähnliche Bilder schon gesehen: von Friedhöfen.
Rheinische Post – rp-online
CHIP Fotowelt – März 2013
Untergegangenen Schiffen gleich erwecken die vor 60 Jahren in einem Waldareal abgelagerten Reste ausgebeinter Automobile den Eindruck, als wären sie schon ein Stückchen in den Waldboden eingesunken. Mit eindrucksvollen Bildkompositionen hat der Kölner Fotograf Dieter Klein in diesem Biotop der ganz besonderen Art festgehalten, was lange Zeiträume ungestörten Zerfalls hervorbringen. Ob nun die Einwirkungen von Mikroorganismen und Wetter auf einst schwarzem Blechuntergrund fluoreszierend anmutende Farbwelten entstehen ließen oder aparter Rostfraß Fahrzeugtüren eine Mischung aus Patina und Perforierung spendiert hat – immer wieder zieht der Zauber von Verwitterungsprozessen und verwunschen wirkenden Details das Auge in seinen Bann.
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